Wie macht sich psychische Belastung am Arbeitsplatz in einer Steuerkanzlei bemerkbar und was kann man als Steuerberater und Chef dagegen tun?
Die Erkenntnis ist nicht neu: Nicht nur durch körperliche Belastungen wird die Arbeit erschwert.
Die psychische Belastung am Arbeitsplatz tritt in allen Branchen auf, auch in Steuerkanzleien. Oft wird diese Belastung mit dem Begriff STRESS ausgedrückt bzw. umschrieben. Stress gab es schon immer in der Arbeitswelt. Dabei kann eine kurzzeitige, Beanspruchung in Form von STRESS durchaus vorteilhaft sein. Diese Art von STRESS, also der kurzzeitige STRESS, kann den Mitarbeiter herausfordern, zugleich motivieren und anspornen.
Sobald jedoch der STRESS Pegel durchgängig hoch ist und dieser nicht durch entsprechende Maßnahmen abgebaut wird, kann dies bei den Mitarbeitern zu erheblichen psychologischen Folgen führen, wobei es hier auf die individuellen Belastungsfaktoren eines jeden Mitarbeiters einer Steuerkanzlei ankommt. STRESS wirkt nämlich nicht auf jeden Mitarbeiter gleich.
In der modernen Kanzleiführung ist die psychische Belastung von Mitarbeitern längt thematisiert und als Problem definiert worden.
Was ist eigentlich konkret psychischer Stress am Arbeitsplatz in einer Steuerkanzlei?
Wie stellt sich STRESS in einer typischen Steuerkanzlei dar?
Eine dauerhafte Einwirkung von psychischen Belastungsfaktoren führt bei dem betroffenen Mitarbeiter nicht selten zu häufigen Ausfällen und Abwesenheiten durch Krankheit. Andere Mitarbeiter müssen die Arbeiten und Aufgaben übernehmen und geraten in eine eigene Stresssituation.
Nicht selten kommt es bei einer Umverteilung von Aufgaben (Mandantenaufträgen) zu einer erheblichen Belastungssituation, weil der übernehmende Mitarbeiter den Fall nicht kennt, eigentlich keine Zeit hat, den Fall zu übernehmen und womöglich noch fachlich überfordert ist. Durch eine wenig vorausschauende Personalpolitik müssen die betroffenen Mitarbeiter immer wieder Überstunden machen, die nicht oder nur mit Geld vom Kanzelinhaber ausgeglichen werden. Die von anderen Mitarbeitern übernommenen Arbeitsprozesse laufen grundsätzlich erst einmal nicht effektiv ab, weil der betroffenen Mitarbeiter sich in den Fall neu und unerwartet hineindenken muss. Hinzu kommen Überstunden, die zusätzlich vergütet werden.
Beides zusammen führt zu einer schleichenden Entwicklung hinsichtlich der Ertragskraft einer Steuerkanzlei.
Der Ertrag einer Steuerkanzlei definiert nämlich sich im Wesentlichen durch zwei Faktoren:
Beide Faktoren kumulieren sich im Umfeld von Stress und psychischen Belastungsfaktoren zu einem „Ertragskiller“.
Erkennt der Kanzleiinhaber solche Entwicklung nicht oder nicht rechtzeitig, nehmen neben dem Ertrag der Kanzlei, auch Qualität und Güte der Arbeitsergebnisse ab.
Das Klima in der Kanzlei ist permanent negativ geprägt und mittelfristig kommt es zu einer Abwanderung von Personal.
Ich habe vor einigen Jahren einen Steuerberater Kollegen kennengelernt, der unter anderem, aber nicht nur durch eine suboptimale Personalpolitik seine Steuerkanzlei an die Grenze der „Unverkäuflichkeit“ gebracht hatte. Der Mandantenstamm dieser Kanzlei war im Grunde genommen typisch und somit standardmäßig strukturiert, mit einer Ausnahme: Er war veraltet.
Nach dem Weggang von Mitarbeitern wurden deren Aufgaben auf den verbliebenen Mitarbeiterstamm verteilt. Die bis dahin gefühlt „gut“ ausgelasteten Mitarbeiter wurden durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben zunehmend überlastet und sahen sich aufgrund dieser Verteilerpolitik des Chefs ersten psychischen Belastungsfaktoren ausgesetzt. Dieser Kanzleiinhaber machte dann aber einen weiteren Fehler. Ohne tiefere Analyse seines Mandantenstamms hinsichtlich Bearbeitungszeiten und Honorarhöhe wurde den Mitarbeitern vorgegeben, einen jährlichen Umsatz auf Basis ihres Bruttogehalts, multipliziert mit dem Faktor 3,6, erzielen zu müssen. Fortan hatte jeder Mitarbeiter seine „Umsatzliste“ und diese war bei fast jedem permanent „blutrot“, d.h. weder monatlich, noch jährlich wurde das Umsatzziel vom Mitarbeiter erreicht. Warum diese Listen blutrot waren und blieben, wurde von dem Steuerberater nicht tiefer untersucht. Schlussendlich stellten diese Umsatzlisten neben den Überstunden einen weiteren psychischen Belastungsfaktor für sämtliche Mitarbeiter dar.
Das war aber noch nicht das Ende.
Es kam noch folgender Umstand belastend hinzu. Die Umsatzvorgaben wurden nicht erreicht. Der Steuerberater Kollege wusste aber von externen Kanzleiberatern, dass seine Kanzlei einen Ertrag von nahezu 40% bezogen auf den Jahresumsatz erwirtschaften musste. Da dies mit den Mitarbeitern nicht möglich war, trotz der „blutroten“ Umsatzlisten, hatte er sich an die Arbeit gemacht und fortan selbst „in seiner Kanzlei“ und nicht mehr „an seiner Kanzlei“ gearbeitet. Der Steuerberater wurde zum „Erfolgshelden” des Kanzlei-Umsatzes. Er nahm im Vergleich zu seinen Mitarbeiten eine Spitzenposition ein. Was er anfangs nicht wahrnehmen wollte war die Tatsache, dass er ja trotz seines in sechsstelliger Höhe selbst erwirtschafteten Umsatzes seine Steuerkanzlei noch führen musste. Folge war, eine Überlastung aus zeitlicher und fachlicher Hinsicht. Der Kanzleiinhaber selbst wurde zum Opfer psychischer Belastungsfaktoren. 60 bis 80 Wochenstunden wurden für den Steuerberater zur Normalität. Neben familiärer Probleme, die entstanden, strahlte seine psychische Belastung auf die eh schon angeschlagenen Mitarbeiter seiner Kanzlei aus. Es erfolgte keine Akquise von Neumandanten, Mandantenanfragen, wenn diese denn überhaupt kamen, wurden abgewiesen. Der Mandantenstamm der Kanzlei veraltete nach und nach. Die Kanzlei selbst bekam im Vergleich zum Wettbewerb mehr und mehr ein Schattendasein. Es bestanden zum damaligen Zeitpunkt kaum noch Chancen, das „Ruder herumzureißen“. Durch externe Hilfe konnte die Kanzlei dennoch gerettet werden und nimmt heute im Vergleich zum Wettbewerb eine Spitzenposition ein.
Wie dieses aufgezeigte Dilemma, das mit Sicherheit kein Einzelfall ist, in einer Steuerkanzlei gelöst werden kann und welche Rolle hierbei eine sinnvolles Ressourcen Management und Mitarbeitereinsatzplanung spielt und welche Methoden und Tools hierfür zur Verfügung stehen erfahren Sie in meinem Folgebeitrag, garantiert noch im Jahr 2016.
Allen Steuerberaterinnen und Steuerberatern wünsche ich einen guten Beschluss des alten Jahres.
Dr. Rainer Schenk
(Steuerberater/Unternehmensberater/Kanzleiberater)